Alexander Gysler betreibt biodynamischen Weinbau in Weinheim, einer kleinen rheinhessischen Weinbaugemeinde unweit von Alzey. Er gehört nicht zu denen, die große Reden schwingen und sich immer in die erste Reihe drängen. Er ist groß genug, das weiß er mittlerweile. Früher hat ihn das auch schon mal verunsichert, gesteht er, doch heute hat er als Mensch und als Weinmacher seinen Stil gefunden.
Alexander Gysler möchte die Natur zum Klingen bringen, das ist sein Ding. Er möchte Weinbau so betreiben, dass Weine möglich werden, die ihre Herkunft zu erkennen geben, denen man in aller Deutlichkeit, mit allen Sinnen anmerkt, dass es Produkte einer ganz bestimmten Region sind, Weine, die eine Heimat haben. Um so einen Wein in die Flasche zu bekommen, investiert er unzählige Stunden in die Pflege seiner Weinberge in den Weinheimer Lagen Hölle, Kirchenstück, Kapellenberg und Mandelberg. Wenn Alexander über diese Dinge spricht, strahlen seine Augen.
Im Keller versucht er, sich so weit es geht zurückzunehmen. So natürlich und schonend, lautet hier seine Devise. Hier riskiert er was, lässt die Dinge geschehen, wohlweislich, dass längst nicht alles vorhersehbar ist, was da geschieht. Aber Alexander Gysler glaubt an die Schönheit und energetische Kraft natürlicher Weine, auch wenn sie sich aromatisch und geschmacklich in einer anderen Welt bewegen, weitab vom stilistischen Common Sense.
Über die Philosophie seines Weingutes in Weinheim sagt er: „ Unsere Haltung und Methodik strebt nach Reinheit, nach authentischer Seele. Der Umgang mit Natur, Rebe und Traube ist geprägt von Hinwendung und Verstehen. Wir erschließen und bewahren damit die tiefe, pure und eigene Sinnlichkeit, die die Natur komponiert. Unsere Weine tragen die Momente Ihres Lebens in sich und entfalten auf der Zunge ihren tief beseelten und lebendigen Charme.
Alexander Gysler nennt dieses Selbstverständnis das „STREBEN NACH WENIGER“ und was dabei herauskommt, ist verdammt viel. Seine Weine berühren, so wie er als Mensch. Ja, er ist ein Stiller, liebt die leisen Töne und auch seine Weine wirken leise, nicht zuletzt weil er sie nicht zwingt, die Lautstärke ihrer Umgebung anzunehmen, laut zu sein und im Wettbewerb mit anderen für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen.
Immer mehr vor allem junge Winzer in Rheinhessen schlagen eine ähnliche Richtung ein, experimentieren genau wie Alexander Gysler auf dem Feld der sogenannten "Naturweine". Sie und viele ihrer Gesinnungsgenossen in Frankreich, Italien und anderen Weltgegenden tun das - nach vielen Irr- und Umwegen - mittlerweile so erfolgreich, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis große Weinfirmen auf diesen kommerziell immer erfolgreicheren Zug aufspringen und als Naturweine getarnte Abfüllungen kreieren, um von ihrer wachsenden Popularität zu profitieren.
Manche Protagonisten setzen nun auf eine klare Definition dessen, was einen "Naturwein" und seine Herstellung ausmacht. Nur so könne verhindert werden, dass unredliche "Trittbrettfahrer" den regellosen Raum überfluteten. Frankreich ist diesen Schritt gerade gegangen und hat eine offizielle, wenn auch freiwillige Zertifizierung von Naturweinen ins Leben gerufen. Winzer, die dem anerkannten Handelskonsortium beitreten und dessen Regeln für Weinbau und Weinbereitung befolgen, können ab sofort ihre Weine mit dem Label "Vin Méthode Nature" versehen.
Die Vin Méthode Nature-Charta verpflichtet ihre Mitglieder, nur Trauben zu verwenden, die biologisch zertifiziert und von Hand geerntet wurden. Sie müssen spontan mit Hefen vergoren werden, die natürlich in Weinbergen und Weinkellern vorkommen und ohne die in der Charta als "brutal" bezeichneten Technologien wie Umkehrosmose, Thermovinifikation oder Cross-Flow-Filtration hergestellt werden.
Für das besonders heikle Thema des Schwefel-Einsatzes wurde ein Kompromiss gefunden. Zwei verschiedene Etiketten sollen Weine unterscheiden, die entweder mit geringen Mengen oder ganz ohne zugesetzten Schwefel (Sulfite) auf die Flasche gezogen werden. Es bleibt abzuwarten, ob das Bemühen, beide Standpunkte auf diese Weise zu versöhnen, die Beteiligten auf Dauer zufrieden stellt.
Auch Alexander Gysler prüft seit Jahren, wie viel Schwefel seinen Weinen gut tut. Immer wieder von Neuem lotet er aus, was passiert, wenn er einen Schritt weitergeht, wenn er seinen biologisch angebauten Trauben im Prozess der Weinwerdung noch ein bisschen mehr vertraut, sie noch ein bisschen mehr sich selbst überlässt, sich selbst noch ein bisschen mehr zurücknimmt, nichts hinzugefügt und nichts wegnimmt.
Im Interview will ich von Alexander Gysler wissen, wie er bei diesen Experimenten vorgeht, welche Grundsätze er für unverzichtbar und wann er es für ratsam hält, einen pragmatischen Weg einzuschlagen. Und natürlich interessiert mich, was ihm das Leben als Winzer in der ländlichen Idylle Weinheims bedeutet und was dem leidenschaftlichen Radfahrer sonst im Leben noch wichtig und unentbehrlich ist.
Für Euch Podcast-Hörer hat Alexander ein "Genuss-im-Bus-Paket" mit drei spannenden Weinen zusammengestellt.
Den STERNENGLANZ – das ist ein ungemein feiner Weißburgunder, zartfruchtig in der Nase, schön texturiert am Gaumen.
Die ZAUBERNUS – eine der letzten Möglichkeiten, noch mal Alexander’s trocken ausgebaute, intensiv-fruchtige Huxelrebe ins Glas zu bekommen.
Riesling vin vivant - ohne Schwefel und sonstigen Schnickschnack - ein köstlicher Naturwein.
Habt viel Spaß damit!
In 14 Tagen treffe ich mich mit Bianca und Daniel Schmitt in Flörsheim-Dalsheim, zwei jungen Winzern, die das Projekt „Naturweine“ noch ein bisschen radikaler als Alexander Gysler verfolgen.
Schaltet also wieder ein, wenn die nächste Episode von Genuss im Bus am 22. Mai an den Start geht.
Lasst es euch schmecken!
Wolfgang
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