Gabriel Scheuermann - Protagonist einer neuen Geisteshaltung beim Weinmachen

Gabriel Scheuermann - Protagonist einer neuen Geisteshaltung beim Weinmachen


Gabriel Scheuermann - Protagonist einer neuen Geisteshaltung beim Weinmachen

Für eine weitere Episode meines Podcasts "Genuss im Bus" bin ich noch einmal in die Pfalz gefahren, in ein kleines und um ehrlich zu sein, nicht besonders hübsches Dorf, das seit Generationen mehr als Diaspora denn als zuverlässige Quelle für guten Wein bekannt war - wenn überhaupt.

Denn dort, wo früher so gut wie ausschließlich Trauben für Fass- und Genossenschaftswein geerntet wurden, ist Revolutionäres im Gange. Bis vor kurzem noch in aller Stille, doch damit ist es vorbei. Die Spatzen pfeifen es von allen Dächern, dass sich abseits der illustren Pfälzer Weinorte entlang der Weinstraße eine kleine, in der Weinszene bislang völlig unbekannte Gemeinde zum Hotspot einer jungen Winzeravantgarde entwickelt hat.

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Das Niederkirchener Weinwunder

Das Tempo, das die Underdogs dort einschlagen, ist immens, für manche Beobachter schwindelerregend und irritierend rasant. Altgediente Händler, etablierte Weinkritiker und erfahrene Sommeliers stecken ihre Nasen ungläubig in die Gläser dieser “New Wave Gewächse” und sie staunen, wie viel Wildheit und Kompromisslosigkeit, Persönlichkeit und Ernsthaftigkeit ihnen da entgegenkommt. Echt und schnörkellos, das ist das Markenzeichen dieser neuen Weine! Und genauso sind die Typen, die sie machen. Individualität und persönlicher Lifestyle sind ihnen wichtiger als Kommerz.

All das spielt sich in Niederkirchen ab, im bäuerlichen Hinterland des mondänen Deidesheim. Mit Gabriel Scheuermann habe ich mir für die aktuelle Podcast-Episode einen Protagonisten dieses Niederkirchener Weinwunders ans Mikrofon geholt. Zusammen mit seinem Bruder Simon hat er sich dem Projekt verschrieben, Wein natürlicher zu denken und Wein natürlicher zu machen. Die beiden stehen - zusammen mir den Brüdern Fußer und Seckinger und den Geschwistern Reinhardt und Weißbrodt - für eine neue Geisteshaltung. Sie teilen die Überzeugung, dass großer Wein im Weinberg gemacht wird und der Ausdruck der Lage wichtiger ist als die Technik der Weinbereitung. Niederkirchen dürfte sicher so schnell nicht wieder von der Landkarte für Wein-Enthusiasten und Entdecker verschwinden.

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Wein so natürlich und authentisch wie möglich

Es ist ein Trend hin zu authentischen und "natürlichen" Weinen. Sie orientieren die Bewirtschaftung ihrer Weinberge an Kriterien der Ökologie, Biodiversität und Nachhaltigkeit. Sie ernten vergleichsweise früh, extrahieren weniger und bevorzugen Frische und Ausgewogenheit gegenüber Kraft und Extraktion. Mit einem zumeist biologischen oder biodynamischen Anbau, mit Spontanvergärung, geringer Schwefelzugabe und generell möglichst wenigen Eingriffen im Keller haben wir es hier mit einer Einstellung zu tun, die sich - selbstbewusst, aber keineswegs dogmatisch - der Naturweinbewegung verbunden fühlt.

Wer die Bewirtschaftung der Weinberge ebenso wie die Prozesse der Weinbereitung derart anders denkt und lenkt, bekommt am Ende auch andere Weine. Das lässt sich leicht bei einem Gläschen aus dem Hause Scheuermann überprüfen. Egal welchen Wein aus dem aktuellen Sortiment ich mir einschenke, immer begegnen mir Frische, Eleganz und Trinkfluss, etwas Wildes zu Beginn, Fokus und Salzigkeit im Finale. Es herrscht eine traumhafte Spannung zwischen den Elementen Frische/Lebendigkeit, Kompaktheit/Dichte und Filigranität/Eleganz.

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Vollblutwinzer - von Kindesbeinen an

Dass er einmal Winzer werden wollte, stand für Gabriel Scheuermann bereits fest, als er noch in den Kindergarten ging. Daran hat sich dann auch nichts mehr geändert. Schon als Fünfzehnjähriger hat er seinen ersten Wein gemacht. Zusammen mit seinem 2 Jahre älteren Bruder hat er eine Ecke im Keller des befreundeten Weinguts Andres in Deidesheim angemietet, um dort sein erstes Weinprojekt in Angriff zu nehmen - eine Merlot-Cabernet-Cuvée.

„Wir sind da einfach komplett frei rangegangen, ohne uns groß einen Kopf zu machen und das Ergebnis war ziemlich gut. Im Weinberg haben wir den Ertrag extrem reduziert, nach dem Motto rausschneiden, rausschneiden, rausschneiden und dann haben wir den jungen Wein einfach ins Holz gelegt und gewartet. Der Wein war super.“

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"Die Biodynamie hat mich schon sehr angefixt!"

Im Jahr 2010 hat Gabriel Scheuermann dann seine Ausbildung zum Winzer begonnen, im ersten Lehrjahr bei von Winning in Deidesheim, im zweiten Jahr dann im Weingut Pflüger in Bad Dürkheim. Die Zeit bei Alexander Pflüger war für ihn der erste Kontakt mit der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. Diese Erfahrungen hat er dann in seinem dritten Lehrjahr im Weingut Dr. Wehrheim noch einmal vertieft und damit die entscheidenden Grundlagen gelegt, den elterlichen Betrieb später einmal in eben diese Richtung zu entwickeln.

„Die Biodynamie hat mich schon sehr angefixt und begeistert, so sehr dass ich dann nach der Ausbildung noch einmal eine zeitlang zunächst bei Pflüger und dann bei Dr. Wehrheim gearbeitet habe. Der absolute Höhepunkt war dann ein viermonatiger Aufenthalt bei Peter Jakob Kühn im Rheingau. Das war echt mega inspirierend und so enorm prägend, dass wir dann hier in unserem eigenen Betrieb bereits in 2012 damit begonnen haben, ausgewählte Flächen auf Biodyn umzustellen.“

Der entscheidende Kick, den Prozess Richtung Biodyn weiter zu forcieren, war dann das Ergebnis ganz konkreter Erfahrungen, die die Brüder Scheuermann in ihren Weinbergen gemacht haben.

„Wir haben größere Flächen hälftig biologisch-organisch und zur anderen Hälfte biodynamisch bewirtschaftet. Schon nach kurzer Zeit konnten wir die Unterschiede sehen. Die Wachstumsprozesse auf den Biodyn-Flächen verliefen sehr viel harmonischer, es gab weniger Geiztriebe und das Bodenleben legte enorm zu. Da war für uns klar, wohin wir in Zukunft segeln wollten.“

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Pfälzer Lebensart - kollegial, offen und hilfsbereit

Bei all dem räumt Gabriel Scheuermann bescheiden ein, dass diese ungeheuer dynamische Entwicklung im eigenen Betrieb nicht möglich gewesen wäre, ohne den inspirierenden Einfluss des in jeder Beziehung kollegialen und freundschaftlichen Umfeldes in der Region. Und wenn er von Kollegialität, Offenheit und Hilfsbereitschaft spricht, will er das nicht auf die junge Generation begrenzt wissen, sondern bezieht in diesen Gemeinschaftsgeist ganz bewusst auch die großen Traditionsbetriebe Bassermann und Bürklin-Wolf mit ein.

„Hier bei uns herrscht eine gute Stimmung untereinander. Da hineinzuwachsen ist ein großes Glück. Die Keller selbst der Großbetriebe stehen für uns jungen Winzer immer offen. Wir verkosten viel zusammen und tauschen uns regelmäßig aus. Das bringt allen was.“

In diesem inspirierenden Kontext haben die Scheuermann Brüder auch mit der Zeit die Stilistik ihrer Weine weiterentwickelt, von zunächst fruchtig und alkoholstark hin zu einem immer puristischeren Stil mit Weinen, die mit ihrer Würzigkeit und Kräutrigkeit unverkennbar Herkunft zeigen. Hier und da zeigen sie Anflüge einer gewissen Wildheit, kommen nicht aalglatt, sondern mit Ecken und Kanten daher. Ihre aus meiner Sicht schönste Seite ist ihr enormer Trinkfluss. Jeder Schluck macht einen Riesenspaß. Trinkfreude mit Anspruch.

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Gabriel Scheuermann erteilt Schubladendenken eine Absage

Auf die Frage, ob man den Wein, den sie machen, als Naturwein bezeichnen könne, sagt Gabriel Scheuermann:

„Ich sage immer, wenn ich gefragt werde, ob es sich bei dem, was ich da gerade eingeschenkt habe, um einen Naturwein handelt: Wenn Sie meinen, das ist Natur Wein, den sie da trinken, dann ist das ein Naturwein.“

Und er begründet das so:

„Ich halte nicht viel von solchen Zuschreibungen, sondern bin im Gegenteil der Meinung, dass wir von jedwedem Dogmatismus und vom Schubladendenken weg müssen. Zu sagen, das muss so und so sein, bringt uns nicht weiter. Stattdessen sollten wir immer wieder von Neuem offen und ungeschminkt auf die Dinge schauen, ihre Individualität erkennen und das Bestmögliche daraus machen.“

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Die Scheuermann Brüder lieben Sekt und Champagner

Weil den beiden guter, flaschenvergorener Schaumwein ganz besonders am Herzen liegt, haben sie beschlossen, die Sektproduktion deutlich auszuweiten, mittlerweile auf fast 20 Prozent der Gesamtproduktion. Und das wollen sie zukünftig noch weiter ausbauen. Zu diesem Zweck haben sie in den vergangenen Jahren weitere Anlagen mit Spätburgunder und Chardonnay bepflanzt.

Zur Zeit bieten sie ausschließlich ein Produkt an, den "Blanc et Noir". Zwei Highend-Sekte genießen aktuell noch eine ausgedehnte Reifung auf der Hefe und kommen erst in zwei bzw. drei Jahren in den Handel.

Gabriel Scheuermann erklärt mir dazu:

„Wir machen genau den Sektstil, den wir persönlich auch am liebsten trinken. Das große Vorbild heißt Champagner. Wir lieben den Brioche-Touch und wenn’s am Gaumen ganz trocken zugeht. Deswegen setzen wir am liebsten Chardonnay und Spätburgunder ein, vergären spontan im Holzfass, verzichten auf Schwefel und praktizieren dann eine ausgesprochen lange Hefelagerung. Dann wird das genauso, wie wir es gerne trinken.“

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Tasting mit Gabriel Scheuermann - demnächst auch online & live

Im Interview reden wir dann noch unter anderem darüber, weshalb große Weine immer zunächst im Kopf des Winzers entstehen und was man dann alles in Weinberg und Keller tun und lassen sollte, damit das Ergebnis passt.

Schließlich schenkt Gabriel Scheuermann mir drei seiner Weine ein, seinen Winzersekt „Blanc et Noir“, den Chardonnay Rosengarten 2018 und den Ruppertsberger Pinot Noir vom gelben Sandstein. Über alle drei Weine sprechen wir ausführlich, sowohl über den Prozess ihrer Entstehung als auch über ihre aktuelle stilistische Performance. Aber dazu hör’ am besten einfach in den Podcast rein.

Oder hol’ dir ein Ticket für das gemeinsame Online Tasting, das ich am Abend des 7. Mai gemeinsam mit Gabriel Scheuermann anbiete. Mit von der Partie sind u.a. sein Sekt „Blanc et Noir“ und der Riesling vom gelben Sandstein. Anmelden kannst du dich über diesen Link.

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Nächste Woche sind die Brüder Hannemann vom Weingut Heiligenblut zu Gast im Podcast

Nächste Woche treffe ich mit den Brüdern Hannemann vom Weingut Heiligenblut in Alzey-Weinheim zwei weitere Vertreter der Nachwuchsgeneration. Die beiden stecken voller Tatendrang und haben sich auf den Weg gemacht, das elterliche Weingut peu á peu in eine vielversprechende Zukunft zu führen. Die Bedingungen, die sie dafür vorfinden und die Begeisterung, mit der sie am Werke sind, sprechen dafür, dass hier Großes möglich ist.

Also, schalte wieder ein, wenn in genau einer Woche die nächste Episode von Genuss im Bus an den Start geht und mit Martin und Christian Hannemann zwei Jungs am Mikrofon Platz nehmen, die sicher schon ganz bald die jüngere Erfolgsgeschichte des Rheinhessenweins um ein weiteres Kapitel bereichern werden.

Bis dahin mach’s gut und lass es dir schmecken.

Wolfgang


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