Für eine weitere Podcast-Episode bin ich noch einmal nach Rheinhessen gefahren, diesmal ganz in den Norden in die als Rotweininsel bekannte Gemeinde Ingelheim. Dort treffe ich mich mit Thomas Werner vom Weingut Arndt F. Werner.
In der fachöffentlichen Aufmerksamkeit gilt die Region lange als ein wenig verschlafen und im Vergleich zu den dynamischeren rheinhessischen Hotspots Rheinfront, Wonnegau und Rheinhessische Schweiz als konservativ und wenig umtriebig.
Nur wenige Ingelheimer Weinbaubetriebe können zunächst Schritt halten mit der enormen Aufbruchstimmung, die sich mit Beginn des 21. Jahrhunderts wie ein Lauffeuer über ganz Rheinhessen verbreitet und auch als sich die Protagonisten dieser Bewegung in der Gruppe "Message in a bottle" zusammenfinden, ist kein Ingelheimer Winzer mit von der Partie.
Dabei hat die Rotweinstadt eine große, berühmte Vergangenheit. Vor etwas mehr als 100 Jahren genießen vor allem die Spätburgunder der primär vom Kalk geprägten Terroirs eine enorme Wertschätzung und zählen zu den teuersten Rotweinen der Welt. Sie werden zu ähnlich hohen Preisen vermarktet wie die besten und gefragtesten Gewächse aus Bordeaux und Burgund. Doch dann kommen zwei Weltkriege und der Holocoust und mit ihnen beginnt der Niedergang der feinen Weine Ingelheims.
In den Nachkriegsjahrzehnten fallen auch die Winzer Ingelheims der Versuchung anheim, den scheinbar unaufhaltsam wachsenden Massenweinmarkt zu bedienen. Der Glaube, mit ertragsstarken Rebsorten und dem extensiven Einsatz von Kunstdüngern und chemisch-synthetischen Spritzmitteln von Jahr zu Jahr größere Mengen produzieren und verkaufen zu können, macht lange blind vor den Folgen dieser Strategie.
Arndt Werner ist einer der ersten, der Ende der 1980er Jahre die Reißleine zieht. Er erkennt, dass der Zug in die falsche Richtung unterwegs ist. Möglichst große Mengen möglichst billig zu erzeugen, das geht nicht nur zu Lasten der Weinqualität, sondern führt auch in eine ökologische Sackgasse. Sein Ziel: Hochwertige Weine im Einklang mit der Natur zu erzeugen.
Arndt ist überzeugt, dass Ökologie und Weinqualität sich nicht widersprechen, sondern im Gegenteil einander bedingen. Anfangs belächelt geht er mutig und konsequent seinen Weg und schließt sich alsbald mit Gleichgesinnten zusammen. Zunächst wirkt er bei der Gründung des Bundesverbandes Ökologischer Weinbau e.V. mit, wenig später ist er Gründungsmitglied von Ecovin. Ein Ökowinzer mit Haut und - damals langen - Haaren.
Fast logisch, dass auch sein Sohn Thomas, der Protagonist der 114. Podcast-Episode von Genuss im Bus nun in seine Fußstapfen tritt und alles daran setzt, exzellente Weine zu füllen - selbstverständlich auf der Basis konsequent ökologischer Wirtschaftsweise. Im Interview sprechen wir unter anderem über seinen Weg ins Weingut, sein Studium in Geisenheim, die Praktika in Südafrika und Neuseeland, wir reden über Maxime Herkunft Rheinhessen und die Pros und Cons der Flurbereinigungen, die bislang in Ingelheim ausgeblieben sind. Ich frage ihn nach der Zukunft der Monokultur im Weinbau und will wissen, wie er die Problematik des Greenwashings einschätzt.
Schließlich darf er eine Prognose abgeben: Wie wird Rheinhessens Rebsortenlandschaft im Jahr 2040 aussehen? Bleibt alles beim Alten? In diesem Zusammenhang sprechen wir über die Chancen von PiWis, sogenannten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Wir vertiefen die Fragen, wie er das Potenzial der Ingelheimer Weinberg-Terroirs einschätzt und was er unternimmt, um die Qualitätsschraube weiter nach oben zu drehen. Wir reden schließlich auch über das Erbe, das er angetreten hat und welche Verantwortung damit für ihn verbunden ist.
Er ist happy, Teil der Ingelheimer Wein-Renaissance zu sein, einer Bewegung, die immer mehr Winzer erfasst und dazu beiträgt, dass Ingelheim und seine Weine nun allmählich auch wieder überregional sichtbar und geschätzt werden. Wie so oft sind es auch in Ingelheim vor allem die Jüngeren, die den Schwung und die Chancen des Generationenwechsels für eine Neuausrichtung nutzen.
Da sind zum einen die Nachwuchskräfte in den etablierten Weingütern, die wie Thomas frischen Wind, eine Top-Qualifikation und jede Menge Auslandserfahrung in die elterlichen Betriebe einbringen und so entscheidend zur Profilschärfung und Qualitätsfortschritten beigetragen. In diese Gruppe gehören auch die Weingüter Neuss und Wasem.
Andere wie zum Beispiel Simone Adams, Carsten Saalwächter und Jens Bettenheimer müssen weitgehend von vorne anfangen. Elterliche Betriebe gibt es zwar, aber es sind doch schwerwiegende Kurskorrekturen erforderlich. Zusammen bilden sie eine tolle, zunehmend verschworene Gemeinschaft. Sie haben verstanden, dass sie Ingelheim nur gemeinsam wieder auf die Landkarte der feinen deutschen Weine katapultieren können. "Die Kollegialität und Hilfsbereitschaft untereinander ist genial", erklärt mir Thomas voller Begeisterung. Und er fährt fort:
Zudem haben wir noch ein schönes Gemeinschaftsprojekt, den Karlswein. Aus den historischen Lagen unserer Gemeinde bringt jeder Winzer einen Spätburgunder mit. Wir haben dann dutzende Spätburgunder auf dem Tisch und alle werden blind verkostet. Das Beste kommt dann in die Cuvée, den Karlswein. Das ist dann auch ein schönes Aushängeschild für die Stadt Ingelheim.
Auf gut 600 Hektar Fläche wird heute in Ingelheim Wein angebaut, mehr als die Hälfte davon ist mit Rotweinreben bestockt, rund 60 Prozent davon entfallen auf den Spätburgunder. Spannende Resultate erbringen hier auch die anderen Burgundersorten, der Frühburgunder, Grau- und Weißburgunder und Chardonnay. Noch immer etwas stiefmütterlich wird der Silvaner behandelt, wenngleich auch er mit den Ingelheimer Gegebenheiten erstklassisch zurecht kommt und - wie einige Beispiele zeigen - zu Großartigem imstande ist.
Thomas ist vom herausragenden Qualitätspotenzial der Ingelheimer Weinbergsterroirs zutiefst überzeugt. Er meint:
Mit seinen kargen Muschelkalkböden, dem vergleichsweise kühlen Klima und einer weitgehend unzerstörten Topografie bietet Ingelheim exzellente Chancen für charaktervolle und markante Ursprungsweine.
Ganz anders als allgemein in Deutschland üblich haben die Ingelheimer Weinbergslagen tatsächlich keine Flurbereinigung über sich ergehen lassen müssen und können deshalb heute mit sehr viel Ursprünglichkeit, einem bunten Teppich unterschiedlichster Mikrolagen und überdurchschnittlich alten Rebbeständen aufwarten. Thomas erklärt die Vorteile so:
Die über Millionen von Jahren entstandene Bodenstruktur ist noch weitestgehend intakt und die Rebfläche verteilt sich auf sehr viele kleine Parzellen mit jeweils ganz eigener Charakteristik. Das ist für uns Winzer super, eine echte Qualitätsressource. Diese Flächen sind nicht immer einfach zu bewirtschaften, aber für die Weinqualität ist es super. Und es hat etwas ungemein Romantisches: kleine, gewundene Straßen, holprige Hohlwege, verstreut liegende Rebflächen, dazwischen Feldholzinseln, alte Obstbäume und Trockenmauern - viele bewahrenswerte ökologische Kleinode.
Wahrlich burgundische Verhältnisse. Neben den kleinparzellierten Weinbergslagen und den Kalkböden sind es die Burgunder Rebsorten, die die Identität Ingelheims maßgeblich prägen. Auch Thomas setzt vor allem auf diese Sorten und gesteht, dass er sich immer wieder Inspirationen im Burgund holt.
Das Handling mit Pinot und Chardonnay haben die dort einfach perfektioniert. Und sie verstehen es, optimale Fässer zu bauen und diese gekonnt in der Weinbereitung einzusetzen. Da ist sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl im Spiel. Davon können wir hier in Deutschland noch jede Menge lernen.
Der Weg, den er eingeschlagen hat, beschreibt eine gut austarrierte Gratwanderung zwischen Kontinuität und Innovation. Was sich bewährt hat, wird fortgeführt, anderes wird verändert. Manche Abläufe organisiert er effektiver und bringt neue Ideen ein. Hier und da hilft der geschulte Blick eines Kaufmanns, denn diesen Beruf hat Thomas noch vor dem Winzerhandwerk gelernt. Die Stilistik der Weine wirkt heute weniger barock als früher, schlanker und frischer. Thomas setzt vermehrt auf Spontangärung, spielt mit Maischestandzeiten und experimentiert bei einigen Sorten sogar mit Maischegärungen.
Er ist offen, neugierig und bereit, die Dinge auf ihn zukommen zu lassen - ohne einen Masterplan, der schon heute bis in alle Details festlegt, wie die Dinge zu laufen haben. Er ist keiner, der kurzfristigen Erfolgen oder medialer Aufmerksamkeit hinterherläuft. Im Gegenteil - er denkt und handelt an Werten orientiert - Nachhaltigkeit, Bodenständigkeit und Ehrlichkeit. Dabei wird er tatkräftig unterstützt von seiner Frau Tanja, die er während seines Studiums in Geisenheim kennen und lieben gelernt hat.
Dass das, was Thomas auf Flaschen füllt, sich sehen lassen kann, davon konnte ich mich persönlich überzeugen. Die Burgundersorten stehen zwar im Zentrum seines Schaffens, dennoch bleibt Raum für andere Varietäten, darunter auch pilzwiderstandsfähige Sorten.
Enorm saftig, frisch und animierend mit unverkennbaren Parallelen zum Sauvignon Blanc.
Riesling vom Kalk! Elektrisierender Auftakt! Am Gaumen tiefgründig und rund mit einer seidigen, reifen Säure und ganz viel Grip. Sehr energetisch und substanzreich!
Eine unfiltriert abgefüllte, maischevergorene Cuvée aus Weißburgunder, Grauburgunder und Gewürztraminer. Ein Wein voller Leben - saftig und frisch mit enorm viel Gripp im Finale.
Auf ein smartes, sanftes, cremiges Intro folgt eine tempo- und spannungsreiche zweite Trinkphase und ein langer Nachhall.
Ein Power-Portugieser! Enorm kraftvoll und intensiv.
Leichtfüßig und trinkig - trotz 13,5 % Alk.! Viel Frucht mit kühler Würze im Finale.
In 14 Tagen geht es weiter. Zu Gast in "Genuss im Bus" ist dann ein junges Winzerpaar - Yvonne Finkenauer aus Bubenheim und Christopher Franz aus Appenheim. Die beiden haben gerade ihre beiden Familienweingüter zusammengeführt, werden aber die bisherigen Sortimente als eigenständige Linien weiterführen. Schließlich haben die beiden ganz unterschiedliche geschmackliche Vorlieben. Logisch, dass sie die jeweilige Stilistik ihrer Weine nicht aufgeben wollen. Genau diese Konstellation bringt eine besondere Dynamik ins Interview. Mal eine etwas andere Episode von Genuss im Bus.
Ich freue mich, wenn Du dann am 18. Februar wieder einschaltest. Bis dahin wünsche ich dir eine gute Zeit und sage für heute Tschüss und Auf Wiedersehen. Und nicht vergessen:
Lass es Dir schmecken!
Wolfgang
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