Für die 168. Episode meines Podcasts Genuss im Bus bin ich in die Südpfalz gefahren, genauer gesagt nach Schweigen, um direkt an der deutsch-französischen Grenze im Weingut Jülg Vater und Sohn, Werner und Johannes Juelg zu treffen.
Seit Junior Johannes nach Lehrjahren bei einigen enorm renommierten Betrieben im In- und Ausland 2011 zurück ins elterliche Weingut kam, um dort fortan eine zentrale Rolle zu spielen, hat der Betrieb große Fortschritte gemacht. Die Bioumstellung wurde realisiert, Umbaumaßnahmen kamen in Gang, der Rebsortenspiegel wurde verschlankt und die Stilistik der Weine erfuhr Präzisierungen in mehreren Etappen. Von Jahrgang zu Jahrgang ein bisschen eleganter, feiner, subtiler - ohne jedoch die für die Region so typische energetische Ausstrahlung zu verlieren.
Dass sich diese Entwicklungen auch in den Kritiken der Fachpresse niederschlugen, war dann quasi die zwangsläufige Folge. »Aufsteiger des Jahres« im Vinum Weinguide 2020 und »Kollektion des Jahres 2021« bei Meiningers Rotweinpreis sind nur zwei Beispiele der vielen Auszeichnungen, die Johannes und Werner Jülg in den vergangenen Jahren einsammeln durften.
Völlig logisch, aber für die beiden Protagonisten dennoch absolut überraschend folgte im Frühjahr 2021 dann die Aufnahme des Weinguts in den VDP. Ähnlich wie im Falle der beiden anderen VDP-Güter Schweigens Becker und Bernhart, wachsen die Trauben für Jülgs Weine sowohl auf deutschem, als auch auf französischem Grund und Boden.
Aber nicht nur weil sich rund die Hälfte der Weinberge auf elsässischer Seite befindet, darf man sie als Grenzgänger bezeichnen. Auch in so manch anderer Hinsicht tragen sie viel Frankophilie im Herzen.
Bereits mit ihren Gutsweinen liefern die Jülgs eine beeindruckend hohe Qualität ab. Es sind enorm saftige Gewächse, die viel Trinkfreude bescheren. Zechweine par excellence, die schon solo viel Genuss bereiten, aber erst zur deftigen Küche der Weinstube so richtig zu strahlen beginnen.
Darüber sind die Ortsweine positioniert. Es folgen die erstklassischen Lagenweine. Heute sind das fein balancierte, sehr präzise und lagerfähige Gewächse, die unisono zur Gebietsspitze zählen.
Nicht vergessen darf man die Sekte und Crémants, die ein breites stilistisches Spektrum bespielen - von feinfruchtige und perfekt als Aperitif geeigneten Schäumern bis hin zu super eleganten und komplexen reserve-Abfüllungen mit extrem langer Hefelagerung.
Von mir danach gefragt, welchen Einfluss die grenznahe Situation auf ihr Leben, ihre Werte und Grundüberzeugungen und schlussendlich auch auf ihr Selbstverständnis als Winzer habe, antworten die beiden:
Die Nähe zu einem kulinarischen Schlaraffenland prägt unseren Alltag, sagt Johannes, es prägt unser Leben tagein, tagaus. Croissants und Baguette, Flammkuchen und Crémant, guter Käse und fois gras. Es ist ein Glück, all diese Dinge direkt vor der eigenen Haustür zu finden.
Werner ergänzt: Ich bin überzeugter Europäer. Ich habe gerade im Urlaub ein Buch vom Jean Monet, dem großen Europäer gelesen. Es ist faszinierend, was die Leute schon damals dachten, in der Zeit zwischen den Kriegen und nach den Kriegen. Nebenbei bemerkt kann ich natürlich die jetzige Politik einer gewissen Gruppierung überhaupt nicht verstehen. Früher, als mein Bruder ins Elsass ging, um dort mit seiner Frau ein Weingut zu gründen und Vins d’Alsace zu machen, während ich hier in Schweigen Pfalzwein gemacht habe, sprach man in Journalistenkreisen von „Jülg hiwe un driwe“. Das ist der europäische Gedanke und das lebt man auch hier. Es prägt unser Leben. Für uns sind die Unterschiede, die es selbstverständlich gibt, kein Anlass zur Sorge oder Abgrenzung, sondern willkommene Quelle für Inspirationen, gute Nachbarschaft und freundschaftliche Gespräche. Es ist einfach klasse. Unterschiede sind dann gut, wenn man sie positiv annimmt und auch lebt. Und nicht dieses Schmalspur denken: „Wir sind die Besten? Wer sind die Richtigen?“
Für viele deutsche Winzer, speziell für viele junge deutsche Winzer gilt Frankreich nach wie vor als großes Vorbild, insbesondere trifft das auf das Burgund zu. Von Johannes will ich wissen, wie das für ihn ist. Wie gelingt der Spagat, einerseits hinzuschauen, zu lernen und sich inspirieren zu lassen, und andererseits eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren und seinen eigenen Stil zu finden?
Wir müssen neidlos anerkennen, dass sich die Franzosen viel besser mit ihrer Umgebung und den Besonderheiten weinbaulich genutzter Terroirs auskennen. Sie wissen, wo ihre besten Lagen sind und wie es gelingt, sie so zu bewirtschaften, dass maximal gute und authentische Weine dabei herauskommen. Im Vergleich dazu sind unsere Erfahrungen deutlich begrenzter. Erst seit zwei, vielleicht drei Jahrzehnten haben die deutschen Winzer begonnen, ihre Weinbergslagen genauer zu studieren. Wir stehen also erst am Anfang. Aber die letzten zwei Generationen haben richtig Gas gegeben, dieses Thema enorm vorangetrieben und jede Menge Terroirkompetenz generiert. Jetzt geht es darum, eine eigene Identität zu entwickeln. Wir dürfen Frankreich nicht kopieren, sondern wir brauchen eine eigene Identität. Dann können wir auch wieder stolz auf unsere Produkte sein. Die Junge Winzerriege macht einen guten Job, aber es gibt noch viel zu tun.
Eine eigene Identität wird sich natürlich immer entlang der gegebenen natürlichen Rahmenbedingungen entwickeln. Deshalb erkundige ich mich nach den regionalen Besonderheiten. Wodurch unterscheidet sich der weinbauliche Kontext rund um Schweigen von den Bedingungen in anderen Weingegenden der Pfalz? Was ist das Besondere in dieser grenznahen Region?
Ein großer Vorteil ist, dass wir von allem nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel haben. Wir haben mit dem Sonnenberg eine Lage, die sich sowohl auf deutschem wie auf französischem Boden befindet und von der Sonne verwöhnt ist. Durch das Weißenburger Tal, also von Frankreich her, kommen regelmäßig ausreichend Niederschläge zu uns. Wir sprechen da von 800 bis 900 Millimeter. Das ist fast doppelt so viel wie an der Mittelhardt. Das hilft uns sehr bei der Versorgung der Junganlagen und es bringt allen Anlagen weniger Stress. Dann haben wir hier viele Kalkböden in Kombination mit dem Löss-Lehm-Elementen. Diese Böden sind sehr schwer, erwärmen sich sehr langsam und halten das Wasser lange. Im Sommer wirken sie fast wie ein Kühlschrank. Und dadurch haben wir auch immer konstante Säurewerte. Hinzu kommen noch die Kaltlufteinflüsse vom Pfälzer Wald und den Vogesen. Diese Mixtur der unterschiedlichen Einflussfaktoren bringt einerseits Weine mit einer schönen Reife hervor, denen es aber andererseits nie an Eleganz, Präzision und Frische fehlt. Auch ist ihr Alkoholgehalt nie zu hoch. Wenn ich mit den Freunden an der Mittelhalt telefoniere, sind wir hier über die gesamte Vegetationsperiode immer eine Woche bis zehn Tage später dran.
Als weltoffene, kommunikationsfreudige Menschen sind die Jülgs natürlich mit ihren weinbaulichen Zielsetzungen und Visionen, ihren Sorgen und Hoffnungen Teil einer Gemeinschaft mit anderen Winzern. Deshalb möchte ich wissen, was diese Community ausmacht und worüber aktuell diskutiert wird.
Werner: Ja, es ist viel Bewegung um uns herum. Ich finde das spannend. Jede Generation bringt ihre eigenen Charakterköpfe hervor und so manches wird in Frage gestellt. Wir sind zwar einerseits sehr auf uns fixiert, weil wir unseren Stil weiter festigen und präzisieren wollen. Aber wir schauen uns natürlich um und registrieren da sehr viel Bewegung. Naturweine, Orangeweine und auch die leicht oxidativen Weine finden gerade in der jungen Winzergeneration immer mehr begeisterte Anhänger. Alles schön und gut. Aber wir sind ja ein traditioneller Betrieb und deshalb sind für uns die Faktoren Konstanz und Berechenbarkeit enorm wichtig. Wir müssen für unsere Kunden greifbar und zuverlässig sein mit dem, was wir machen. Das ist ja das Gute, dass keine Generation stehenbleibt. Aber man muss nicht alles mitmachen. Vieles ist heute machbar, aber wir wollen dem Weinstil, für den wir stehen, auf absehbare Zeit treu bleiben. Nicht zuletzt, weil wir uns seit Johannes hier mit von der Partie ist, in großen Schritten weiterentwickelt haben und auch, weil die Jülgs in dieser Frage an einem Strang ziehen. Dissens gibt es da nicht.
Auch von Johannes will ich wissen, in welcher Community, in welchem Netzwerk er sich bewegst und was da aktuell diskutiert wird.
Wichtig ist erst mal eine Gruppe zu finden, wo man sich wohl fühlt und so sein kann, wie man ist, sich also nicht verstellen muss. Man muss ehrlich miteinander umgehen. Respekt ist wichtig. Man muss aber auch tolerant sein und Kritik üben und annehmen können.
Ich habe das Glück, in einer Gruppe zu sein, in der diese Werte gelebt werden. Dabei sind u.a. Julian Huber, Friedrich Keller, Tobi Knewitz, Andy Rings und Nicola Libelli. Wir sprechen eine Sprache, wenn es um Wein geht. Und auch menschlich verstehen wir uns sehr gut und haben viel Spaß miteinander. Wir veranstalten Jungweinproben und diskutieren dabei sehr offen über unsere Eindrücke. Kritisches Feedback ist allen in der Gruppe sehr wichtig. Vor allem interessiert uns wechselseitig die Frage, ob es mit den verkosteten Weinen gelingt, die jeweilige Betriebsphilosophie zu kommunizieren, ob es authentische Produkte des jeweiligen Weinguts sind, ob sie emotional berühren und ob sie unseren Ansprüchen in Richtung Feinheit und Noblesse genügen.
Und dann sitzt man in der Runde und dann riechen die alle in den von mir ausgeschenkten Kammerberg rein und wenn sie dann sagen: „Oh ja, das ist Jülg, das ist Kammerberg, das ist Pinot, dann geht ein Lachen in deinem Gesicht auf und dann weißt du, du hast eigentlich alles richtig gemacht. Dann hat es die Jungs gepackt, dann sind Emotionen übergesprungen. Dann hast du dieses Heimatgefühl im Glas. Das ist das Schönste, was es gibt, wenn du einen Wein blind irgendwo hinstecken kannst, wenn du schmeckst, wo er herkommt und wer ihn gemacht hat. Das ist das schönste Lob.
Werner ergänzt: Über die großen Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland könnte ich viel und lange philosophieren. Wir neigen zu sehr zum technischen Denken und genau das legt die Gruppe, von der Johannes gesprochen hat, ein bisschen ab. Sie lassen mehr Natürlichkeit zu, praktizieren mehr laissez-faire und verzichten auf allerlei technische Optionen, die lange unhinterfragt zum Einsatz kamen.
Wir sprechen über noch viel über Historisches und Aktuelles und wie die einzelnen Entwicklungsschritte gelungen sind. Johannes sieht für die Zeit, die er im seit 2011 im Betrieb mitmischt, zwei große Meilensteine.
Es gibt zwei Weine, die prägend sind für unsere jüngere Weingeschichte. Das ist der 2015er Chardonnay Opus. Das war der erste Wein, vondem wir sagten, da knüpfen wir an, das ist unser Stil, das schmeckt uns, das hat Herkunft, das ist Jülg, das ist einzigartig, das verfolgen wir. Der zweite Meilenstein war der 2017er Kammerberg Spätburgunder, eine Parzelle, die ich wenige Jahre zuvor selbst angelegt hatte. Zwar noch ein junger Wingert, aber wenn man den richtig im Griff hat, kann auch was Besonderes rauskommen. Das sind zwei Schlüsselweine, die einerseits unsere Philosophie als Weingut perfekt widerspiegeln, aber auch hier in die Region passen und ihren deutsch-französischen Entstehungskontext emotional in die Flasche bringen. Das sind für uns Referenzweine, die wir im Hinterkopf haben und auf denen wir Jahr für Jahr weiter aufbauen und natürlich auch Optimierungspotenziale ausloten.
Beide sind zuversichtlich für die Zukunft, nicht zuletzt weil sie wissen, dass sie an einem Strang ziehen und sich gut ergänzen. Ein Schlüsselprojekt soll die weitere Verschlankung des Rebsortenspiegels sein. Johannes will mit Mitte 40 die Dinge so entwickelt haben, dass dann jede Rebsorte an dem Standort steht, wo sie ihr bestes Potenzial zeigen kann. Chardonnay und Spätburgunder sollen die zwei Sorten sein, um die man sich vornehmlich kümmern möchte.
Stilistisch ist das, was in Flaschen gefüllt wird, schon heute auf sehr hohem Niveau. Die Weine präsentieren sich einerseits ungemein energetisch, kraftvoll und substanzreich und sind insofern echte Heimatweine der Südpfalz. Sie zeigen andererseits sehr viel Präzision und haben an Feinheit, Eleganz und Finesse deutlich zugelegt. Das ist eine Entwicklung, die man speziell beim Spätburgunder sehr deutlich beobachten kann. Und generell fällt bei allen Weinen von Werner und Johannes auf, dass sie fruchtreduziert sind. Sie kommen eher mineralisch, kräutrig und würzig daher. Im Topsegment verfügen die Abfüllungen über ein enormes Alterungs- und Reifungspotenzial.
Eine immer größer werdende Bedeutung nimmt der Sekt im Hause Jülg ein, darunter zwei preiswerte, aber exzellente Crémants, die auf den Namen Jean-Fritz hören. Für alle, die beabsichtigen, das Weingut einmal zu besuchen und die Weine vor Ort zu verkosten, sei die Weinstube der Jülgs empfohlen. Sie zählt zu den kulinarischen Topadressen in der Südpfalz. Hier sitzt man gemütlich beisammen und genießt eine bodenständige Küche mit frisch zubereiteten Gerichten aus Zutaten der Region. Dazu werden selbstverständlich stolz die hauseigenen Weine serviert. Wenn das nicht einen Umweg wert ist!
In 14 Tagen geht es weiter hier im Podcast von Genuss im Bus, dann mit einem hoch interessanten Jungwinzer, der uns an seinen Zukunftsplänen teilhaben lässt. Bis dahin sage ich Tschüss und auf Wiedersehen und nicht vergessen:
Lasst es euch schmecken!
Wolfgang
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