Weinneulinge aufgepasst! Gängige Missverständnisse, die Du kennen solltest

Weinneulinge aufgepasst! Gängige Missverständnisse, die Du kennen solltest

Wenn Weinneulinge und -einsteiger ein paar Dinge beachten, haben sie nicht nur mehr Spaß mit Wein, sie widerstehen dann auch der Versuchung sehr viel leichter, sich vom Weinwissen anderer Menschen leichtfertig beeindrucken zu lassen.

Hüte Dich vor „Weinkennern“, die mit viel Halbwissen um sich werfen und Weinkompetenz demonstrieren, dabei aber vor allem das Ziel verfolgen, Dich zu beeindrucken. Ich will Dir in diesem Blog-Artikel reinen Wein einschenken und weit verbreitete Weinirrtümer und Missverständnisse als das entlarven, was sie sind: Nonsens. 

Weinberg mit Wolkenhimmel

„Das Weinglas bitte gut füllen und am Kelch anfassen!“

Ich empfehle, das Weinglas bis maximal zu einem Drittel zu befüllen, damit das Weinaroma ausreichend Raum zur Entfaltung hat. Zudem ist dann auch keine Eile beim Austrinken angesagt, weil der Inhalt warm zu werden droht. 

Die Gefahr des zu schnellen Erwärmens lauert auch dann, wenn Du das Glas nicht am Stiel, sondern am Kelch anfasst. Zudem wäre es dann irgendwann mit Deinen Fingerabdrücken übersät und der ungetrübte, prüfende Blick auf den Wein immer weniger möglich. Und wenn Du Wert auf Ästhetik legst, dann kommt sowieso nur der Stiel infrage.

Rotwein im Glas mit Weinflasche

„Rotwein wird bei Zimmertemperatur getrunken!“

Das ist eine noch immer weit verbreitete Meinung, die auch Weinneulinge schnell beeindruckt. Doch die Empfehlung stammt aus einer Zeit, als die Wohnräume wesentlich moderater beheizt wurden als heute. Doch bei 22° C und mehr sticht der Alkohol in die Nase, verbrennt das Aroma und vertreibt jegliche Eleganz und Trinkigkeit. 

Die richtige Temperatur für Rotwein liegt zwischen 14 und 18 Grad, die tanninbetonten etwas wärmer, die tanninarmen etwas kühler. Bitten Sie das Servicepersonal, die Flasche für ein paar Minuten ins Eisfach zu legen oder werfen Sie im Zweifelsfall einen Eiswürfel ins Glas und fischen Sie ihn nach 20 Sekunden mit dem Suppenlöffel wieder heraus. Lassen Sie sich dabei von niemandem aus der Ruhe bringen – sondern vertrauen Sie darauf, dass er Ihnen dann deutlich besser schmeckt.

Rote Trauben mit Herbstlaub

„Rotwein muss atmen!“

Das Gros der heute angebotenen Rotweine kommt trinkfertig in den Handel und bedarf keinerlei Zusatzbehandlung. Nur junger Rotwein, der noch nicht seine optimale Trinkreife erreicht hat, profitiert vom Sauerstoffkontakt – aber nur dann, wenn er in eine Karaffe umgefüllt wird. Das Öffnen der Weinflasche allein bringt rein gar nichts. Vom Dekantieren alter Rotweine ist generell abzuraten, es sei denn, sie haben Depot gebildet. Das Umfüllen sollte dann aber erst kurz vor dem Trinkgenuss erfolgen. Mehr zum Thema erfährst Du in meinem Blog-Artikel „Dekantieren und Karaffieren – alles Show oder was?“.

Schatzkammer-Weil

„Wein wird mit zunehmendem Alter immer besser!“

Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass Weine mit zunehmender Flaschenreife besser werden. Die Masse der heute weltweit erzeugten Produkte sollte jung, am besten in den ersten ein bis zwei Jahren getrunken werden. Sonst geht verloren, was alle an ihnen so schätzen: erfrischende Lebendigkeit, jugendlicher Charme und Fruchtigkeit. Alterungsfähigkeit ist das Privileg einer kleinen Minderheit. Diese Weine bewahren lange die Merkmale der Jugend und benötigen nicht selten eine gewisse Reifezeit in der Flasche, bevor sie ihre „pubertäre“ Art verlieren und sich allmählich verfeinern.

Rebholz

„Wenn ein junger Wein nicht schmeckt, benötigt er Reifezeit!“

Hüte Dich vor Kaufempfehlungen mit der Begründung „Was in der Jugend nicht schmeckt, braucht eben noch ein bisschen Zeit“. Das ist Unsinn! Schmeckt ein Wein nicht, wenn er jung ist, dann schmeckt er auch im Alter nicht. Sicher profitieren manche Gewächse von ein paar Jahren Flaschenreife, das bedeutet jedoch nicht, dass sie in jungen Jahren, wenn sie ihr Potenzial noch nicht vollends ausgeschöpft haben, nicht schon mit viel Freude zu genießen sind. 

Ebenso unsinnig ist die Umkehrung: „Weine, die schon jung gut schmecken, können nicht altern.“ Wann allerdings ein Wein sein geschmackliches Optimum erreicht hat, hängt nicht nur von seiner Beschaffenheit ab, sondern maßgeblich auch von Deinen Erfahrungen und Präferenzen. Was der eine als optimal beklatscht, beklagt der andere im Extremfall als bereits verdorben und ungenießbar. Wenn Du nach alterungsfähigen Weinen suchst, dann halte Dich am besten an folgende Vertreter:

Weißweine: die Grands Crus aus Burgund und Bordeaux, Hermitage, Savennières und Vouvray sowie die besten deutschen Rieslinge

Rotweine: Bordeaux, Burgund, Rhône, Barolo, Barbaresco, Brunello di Montalcino, Rioja sowie einige singuläre Hochkaräter, die heutzutage in fast allen Weltgegenden entstehen

Süßweine: Gute Auslesen reifen über fünfzig Jahre perfekt, Trockenbeerenauslesen überstehen wie Sauternes und Tokajer ohne Mühe ein ganzes Jahrhundert. Mithalten können da nur noch Madeiras und Vintage Ports.

Rebstock mit Trieb

„Trinke keinen Wein, der Sulfite enthält“

Seit Ende des Jahres 2005 müssen Weine den Hinweis „enthält Sulfite“ oder „Sulfur added“ auf dem Weinetikett führen, wenn der Grenzwert von 10 mg/l überschritten wird. Gemeint ist damit Schwefeldioxid, ein Konservierungsmittel, das auch zum Frischhalten anderer Nahrungsmittel eingesetzt wird. In kleinen Mengen gehört es zu den Stoffwechselprodukten der Hefe während der Gärung, weshalb es von Natur aus unmöglich ist, völlig schwefelfreien Wein zu produzieren. 

Versuche, Wein ohne den Zusatz von Schwefel herzustellen, können durchaus erfolgreich sein, wenn die mikrobiologische Stabilität des Weines das erlaubt. Immer mehr Winzer probieren sich daran und die Resultate werden immer vielversprechender. Dazu wird es demnächst einen eigenständigen Blogbeitrag von mir geben.

Vesper mit Wein

„Nur rebsortenreine Weine sind gute Weine!“

Viele große Weine der Welt sind Cuvées, also Verschnitte aus unterschiedlichen Rebsorten: Champagner, roter und weißer Bordeaux, Châteauneuf-du-Pape, Rioja, Chianti Classico, Amarone und viele mehr. Bei diesen Weinen kommen Rebsorten zum Einsatz, die als Teamplayer eine gute Figur machen, als Solist hingegen weniger. Speziell in den deutschsprachigen Regionen, aber auch in weiten Teilen der Neuen Welt finden sich allerdings Rebsorten, die nur dann zur Hochform auflaufen, wenn sie die ungeteilte Aufmerksamkeit genießen.

Weinberge am Genfer See

„Meide süße Weine, denn ihre Qualität ist stets fragwürdig!“

Ob ein Wein trocken oder süß ist, hat rein gar nichts mit seiner Qualität zu tun. Weil es aber im Nachkriegsdeutschland mal eine Zeit gab, in der massenhaft einfache, banale Süßweine produziert wurden, ist hierzulande das Image dieser Spezies beschädigt. Die Nachwehen dieser Zeit sind noch immer spürbar, doch ganz allmählich entwickeln die Deutschen ein entspannteres Verhältnis den Süßweinen gegenüber; auch die edlen Vertreter von Rhein und Mosel erfahren zunehmend die ihnen gebührende Wertschätzung. Mein Blog-Artikel „Die Wahrheit über Süßweine“ vertieft dieses Thema.

Gläser mit Süßwein

„Dunkle Rotweine sind besser als helle Rotweine!“

Farbe und Farbdichte bieten beim Rotwein keine zuverlässigen Hinweise auf die Qualität. Im Vergleich zu Cabernet Sauvignon und Syrah besitzen Spätburgunder eine helle, recht transparente Farbe, aber ihre Qualität steht den dunkleren Vertretern in nichts nach. Stilistisch gesehen sind dunkle Rotweine in der Regel kraftvoller und tanninbetonter als hellere Vertreter. 

Aber auch diese Regel kennt Ausnahmen, zum Beispiel Barolo und Barbaresco aus der Rebsorte Nebbiolo. Beide sind hell, aber ungeheuer kraftvoll und tanninbetont. Weil jedoch viele Menschen die dunklen Rotweine favorisieren, kommt so mancher Kellermeister in Versuchung, die Farbe seiner Weine zu manipulieren.

Wein, Brot und Salami

„Zum Käse passt nur Rotwein!“

Auch wenn Du es anders gelernt hast: Zu den meisten Käsesorten passt Weißwein besser als Rotwein. Insbesondere tanninbetonte Rotweine tun sich als Käsebegleiter schwer. Mehr zu diesem Thema erfährst Du in meinem Blog-Artikel „Welcher Wein passt zum Käse?“.

KäseBuffet

Serviere leichte und zarte Weine zum Essen, die kräftigen trinke solo!“

Genau umgekehrt ist es richtig! Soll ein Wein ein Gericht begleiten, benötigt er umso mehr Kraft und geschmackliche Intensität, desto geschmacksintensiver die Speise ist. Willst Du einen Wein dagegen als Solisten genießen, machen leichte und zarte Vertreter in der Regel eine bessere Figur. Mehr zum Thema erfährst Du in meinem Blog-Artikel „Wie Du immer den passenden Wein zum Essen findest“.

Candlelight-Dinner mit Wein

„Zur Party beeindrucke deine Gäste mit ausdrucksstarken Weinen!“

Auf keinen Fall! Ausdrucksstarke Weine begleiten Festessen ganz vorzüglich, während im Rahmen einer Party ihre besondere Klasse gar nicht zur Geltung käme. Den Menschen fehlt schlicht und ergreifend die Aufmerksamkeit beim ausgelassenen Feiern. 

Leichte, fruchtbetonte Weine harmonieren dagegen ganz vorzüglich mit der fröhlichen Partyatmosphäre. Die besondere Exzellenz ausdrucksstarker, komplexer Weine würde dagegen im Gewirr der Stimmen und Stimmungen gänzlich untergehen. Schade wäre das!

Party mit Rotwein

„Grands Crus und Gran Reservas vom Discounter sind günstige Kaufgelegenheiten!“

Glaub das bloß nicht! In der Regel handelt es sich um vergleichsweise einfache und eher untypische Vertreter der jeweiligen Weingattung. Die 15 oder 20 Euro, die Du für sie investieren musst, sind meines Erachtens besser angelegt, wenn Du sie für einen Top-Vertreter eines ansonsten preiswerteren Weintyps ausgibst.

Rote Trauben

„Wähle nur Flaschen, die mit Naturkork verschlossen sind!“

Die „Verschlusssache Wein“ erhitzt die Debatten der vinophilen Gemeinde wie kaum eine andere. Insbesondere kundige Weintrinker scheinen am Naturmaterial aus Portugal zu hängen, befriedigt der „Plopp“ beim Entkorken doch tiefe emotionale Bedürfnisse. Schraubverschlüsse und Plastikstopfen sind nach wie vor verpönt, allenfalls der „Vino-lok“ aus Glas wird geduldet. 

Doch die Beweislast ist erdrückend: Immer noch müssen Jahr für Jahr zehntausende Flaschen aufgrund fehlerhafter Naturkorken entsorgt werden. Im Vergleich präsentiert sich insbesondere der Schraubverschluss ohne Fehl und Tadel und Langzeitstudien zeigen, wie wundervoll frisch sich die Weine selbst nach mehreren Jahren Flaschenlagerung präsentieren. 

„Schrauber oder Kork? Für mich keine Frage: Hier siegt ausnahmsweise mal die Technik über die Natur,“ das meint Martin Kössler von der Weinhandlung Kössler & Ulbricht in Nürnberg.

Naturkork Rotwein

„Hände weg von Überseeweinen, denn Du bezahlst vor allem den langen Transport!“

Die moderne Logistik über den Seeweg macht es möglich, dass die Transportkosten pro Flasche von Australien oder Südafrika nach Deutschland mitunter geringer ausfallen als die für eine Lieferung aus Frankreich oder Spanien.

Weinlandschaft in Südafrika

Also, bleib gelassen und lass Dich nicht von „Weinkennern“ in Deinem privaten und beruflichen Umfeld einschüchtern. Vieles ist heiße Luft und leicht als Irrtum oder Vorurteil zu durchschauen. Du weißt ja jetzt, wie es richtig geht.

 

Liebe Weinneulinge: Lasst es Euch schmecken!

 

Wolfgang Staudt

 

 

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